Ahmad Shihabi wuchs im Süden von Damaskus auf – in einem Flüchtlingslager, das seine Familie nach dem Palästina-Krieg 1948 erreichte. Er erinnert sich an eine glückliche Kindheit. Doch 2011 änderte sich alles. Der Bürgerkrieg in Syrien zerstörte nicht nur sein Zuhause, sondern auch das Leben vieler. Heute lebt Ahmad in Deutschland und erzählt, wie er Gewalt, Angst und Terror überlebte.
Im Dezember stürzte nach mehr als einem Jahrzehnt der syrische Machthaber Baschar al-Assad. Die Freude bei vielen Exil-Syrern war groß. Auch Ahmad verfolgte die Nacht des Machtwechsels. Um 3.13 Uhr morgens war es so weit. Der Moment, auf den viele gewartet hatten. Ahmad weinte. Nicht nur aus Freude, sondern auch wegen der Erinnerung an Angehörige und Freunde, die den Krieg nicht überlebten.
Ahmads Familie wurde durch den Krieg zerrissen. Manche leben heute im Libanon, andere noch immer in Syrien. Nach dem Sturz des Regimes blieben Unsicherheit und Gewalt im Land. Islamistische Gruppen kämpfen untereinander. Israel marschierte im Süden ein. Die Hoffnung auf Frieden ist geblieben – aber die Realität ist weiter von Angst und Kämpfen geprägt.
Ahmad war Informatiker, doch inspiriert von seinem Onkel Ghassan, einem bekannten Journalisten, begann er 2009 ebenfalls journalistisch zu arbeiten. In einer Diktatur war das gefährlich. Ghassan wurde vor den Augen seiner Kinder erschossen. Ahmad selbst überlebte eine Festnahme durch Assads Armee. Er arbeitete trotz zerstörter Wohnung und Luftangriffen weiter – mit dem Ziel, die Wahrheit zu berichten.
Nach dem Umbruch im Land durchsucht Ahmad täglich Bilder von Gefangenen, die befreit wurden. Darunter Kinder, die im Gefängnis aufwuchsen. Viele wissen nicht, was ein Vogel ist, weil sie nie draußen waren. Manche trauen der Freiheit nicht, aus Angst vor einem weiteren Trick des Regimes. Ahmad sucht auf Fotos nach vermissten Verwandten und Kollegen. Reporter ohne Grenzen dokumentierte über 180 ermordete Journalisten durch Assads Truppen.
In dunklen Momenten fragt sich Ahmad, ob auch er hätte sterben können. Seine Flucht war ein Weg voller Risiken. Doch sein Wille war stärker. Ahmad wollte frei berichten – in einem Land, das die Presse schützt. Gemeinsam mit seiner Freundin wagte er den gefährlichen Weg über die Grenze in die Türkei. Syrische Palästinenser wie er haben oft keine gültigen Papiere, sie dürfen nicht offiziell ausreisen.
Der einzige Weg war die illegale Flucht durch ein vom IS kontrolliertes Gebiet. Um nicht aufzufallen, heiratete das Paar, lernte Koranverse auswendig und passte sich äußerlich an. Mit einem Schleuserbus fuhren sie Richtung Türkei. Die Flucht war lebensgefährlich.
In Istanbul angekommen, arbeiteten beide hart. Ahmad als Kellner, seine Frau in einem kleinen Betrieb. Doch ohne Aufenthaltsstatus waren sie rechtlos. Die Bezahlung war niedrig, die Arbeitszeiten lang. Nach reiflicher Überlegung entschied sich Ahmad, allein nach Deutschland zu fliehen – über das Meer zwischen der Türkei und Griechenland.
Der Seeweg war gefährlich. Ahmad konnte nicht schwimmen. Aber der Traum von Sicherheit gab ihm Kraft. Im Mai 2015 bestieg er mit rund 50 anderen ein Schlauchboot. Viele Menschen hatten diesen Weg nicht überlebt. Ahmad überlebte. Der Leuchtturm auf der griechischen Insel wurde zum Symbol der Hoffnung.
Heute lebt er in Sicherheit. Doch die Erinnerungen bleiben. Ahmad erzählt seine Geschichte nicht nur für sich, sondern für alle, die keine Stimme mehr haben. Sein Schicksal steht stellvertretend für Tausende Syrerinnen und Syrer, die trotz Krieg, Terror und Flucht ihre Würde bewahrt haben.