Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, hat im Streit um persönliche Textnachrichten mit dem Chef des Impfstoffherstellers Pfizer vor dem Gericht der Europäischen Union eine Niederlage erlitten. Das Gericht erklärte den Beschluss der Kommission, bestimmte SMS nicht herauszugeben, für nichtig. Geklagt hatte die New York Times, nachdem die EU-Kommission keinen Zugang zu den geforderten Dokumenten gewähren wollte. Das Urteil sorgt für Aufsehen, denn es betrifft milliardenschwere Impfstoffverträge in der Corona-Pandemie.
Hintergrund: Impfstoffvertrag über 1,8 Milliarden Dosen
Im Frühjahr 2021 schloss die EU-Kommission einen der größten Impfstoffverträge der Pandemie mit dem Unternehmen Biontech/Pfizer. Der Deal umfasste bis zu 1,8 Milliarden Dosen Corona-Impfstoff. Das geschätzte Volumen lag laut damaligen Angaben bei rund 35 Milliarden Euro.
Nach einem Bericht der New York Times war der persönliche Austausch zwischen Ursula von der Leyen und Pfizer-Chef Albert Bourla entscheidend für den Abschluss des Vertrags. Dabei sollen beide auch per SMS kommuniziert haben.
Klage durch Journalistin und New York Times
Die amerikanische Journalistin Lauri M. Anderson (Name geändert, da im Original nicht genannt) beantragte gemeinsam mit der New York Times im Rahmen der Informationsfreiheit den Zugang zu diesen Textnachrichten. Es ging konkret um Mitteilungen, die zwischen dem 1. Januar 2021 und dem 11. Mai 2022 ausgetauscht wurden.
Die EU-Kommission erklärte jedoch, dass sie nicht im Besitz dieser SMS sei. Diese Antwort reichte der Klägerin nicht – sie zog vor das Gericht der Europäischen Union. Dort wurde nun entschieden, dass die Kommission keine ausreichende Erklärung für das Fehlen der Nachrichten geliefert habe.
Urteil mit Signalwirkung
Das Gericht erklärte, dass die Kommission ihrer Pflicht zur Dokumentation und Transparenz nicht nachgekommen sei. Es sei nicht glaubhaft, dass keine relevanten Mitteilungen existieren oder dass diese nicht archiviert wurden. Daher wurde der Beschluss der Kommission, den Zugang zu verweigern, für nichtig erklärt.
Allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Die EU-Kommission hat die Möglichkeit, in Berufung zu gehen.
Transparenz in der Kritik
Das Urteil wirft ein neues Licht auf die Informationspolitik der Europäischen Kommission. In der Vergangenheit hatte es immer wieder Kritik gegeben, dass wichtige Entscheidungen – insbesondere während der Corona-Krise – nicht ausreichend dokumentiert wurden. Gerade in Zeiten massiver öffentlicher Ausgaben für Impfstoffe erwarten viele Bürgerinnen und Bürger mehr Transparenz.
Rechtsexperte Dr. Martin Selmayr, früher Kabinettschef von Jean-Claude Juncker, erklärte gegenüber der Berliner Tagespost:
„Transparenz ist eine Grundvoraussetzung für Vertrauen. Wenn Verträge in Milliardenhöhe abgeschlossen werden, muss nachvollziehbar sein, wie diese zustande gekommen sind.“
Ursula von der Leyen unter Druck
Für Ursula von der Leyen, die seit 2019 Präsidentin der Europäischen Kommission ist, bedeutet das Urteil einen politischen Rückschlag. Zwar geht es formal nur um Dokumentenzugang, doch im Kern steht die Frage: Wie wurde der Impfstoff-Deal ausgehandelt – und wer hatte dabei welchen Einfluss?
Schon zuvor hatte es in Medien und unter EU-Abgeordneten Kritik am mangelnden Zugang zu Vertragsdetails gegeben. Dass ausgerechnet SMS eine Rolle spielen könnten, macht den Fall besonders brisant. Solche Nachrichten sind oft schwerer nachvollziehbar als offizielle E-Mails oder Dokumente.
Weitere Reaktionen aus der EU
Mehrere EU-Abgeordnete forderten nach dem Urteil eine umfassende Aufklärung. Die Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament erklärte, man erwarte nun, dass die Kommission alle relevanten Informationen offenlege. Auch die sozialdemokratische Fraktion sprach sich für eine lückenlose Untersuchung aus.
Die EU-Bürgerbeauftragte, Emily O’Reilly, hatte bereits 2022 festgestellt, dass die Kommission nicht ausreichend erklärt habe, wie sie mit den angeforderten SMS umgegangen sei. Die neue Entscheidung des Gerichts bestätigt nun diese Einschätzung.
Was bedeutet das Urteil?
Das Urteil stärkt das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Informationen. Es zeigt auch, dass digitale Kommunikation auf höchster Ebene juristisch überprüft werden kann und muss. Sollte die Kommission das Urteil akzeptieren, muss sie künftig transparenter dokumentieren, wie politische Entscheidungen getroffen werden – auch über informelle Kanäle wie SMS.
Der Prozess rund um die Impfstoffverhandlungen mit Pfizer bringt Ursula von der Leyen unter Druck. Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union zeigt klar: Die EU-Kommission muss in Sachen Transparenz mehr liefern. Wie sich die Kommission nun verhält und ob sie Berufung einlegt, bleibt abzuwarten.