In Oranienburg, einer Stadt nördlich von Berlin, leben die Menschen weiterhin mit der ständigen Bedrohung von Weltkriegsbomben, die noch immer unter der Erde verborgen sind. Achtzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs liegen in der Stadt schätzungsweise rund 250 Bomben, die jederzeit explodieren könnten. Der Kampfmittelräumdienst hat eine Mammutaufgabe zu bewältigen, und die Stadt ist in ständiger Alarmbereitschaft.
Die Suche nach diesen Bomben ist ein langwieriger Prozess, der sich über viele Jahre erstreckt. Experten befürchten, dass Oranienburg die Stadt mit der größten Belastung durch unentschärfte Weltkriegsbomben in Deutschland sein könnte. Von den rund 40 Quadratkilometern der Stadt wurden bislang nur 16 Prozent offiziell von der Bombengefahr befreit. Das bedeutet, dass der Großteil des Gebiets noch auf Kampfmittelverdacht überprüft werden muss.
Explosionen und Kettenreaktionen
Fachleute gehen davon aus, dass es nicht eine Frage des „ob“, sondern des „wann“ ist, bis die Bomben detonieren. Stefanie Rose, Dezernentin für Bürgerdienste im Oranienburger Rathaus, erklärt, dass es durchaus zu einer Kettenreaktion kommen könnte, bei der durch die Explosion einer Bombe weitere in der Nähe liegende Bomben zur Detonation gebracht werden könnten. Bereits in der Vergangenheit kam es mehrfach zu Selbstdetonationen. So explodierte 1991 eine 250-Kilogramm-Bombe in einer Vorortsiedlung und verletzte einen Mann und ein Mädchen. 1993 gab es eine Explosion im Lehnitzsee, bei der glücklicherweise niemand zu Schaden kam. Weitere Explosionen verursachten „nur“ Sachschäden.
Oranienburgs explosive Vergangenheit
Am Ende des Zweiten Weltkriegs war Oranienburg ein bedeutendes Ziel für die Alliierten. Über 20.000 Bomben wurden auf die Stadt abgeworfen, viele von ihnen mit einem speziellen Ziel: den Auer-Werken, die verdächtigt wurden, Teile für eine Atombombe zu produzieren. Auch die Heinkel-Flugzeugwerke und der Bahnhof waren Ziele von Bombenangriffen. Aufgrund der speziellen Bodenverhältnisse landeten viele dieser Bomben so tief im Erdreich, dass sie nie detonierten und nun eine Gefahr darstellen.
Tägliche Herausforderungen und Evakuierungen
Die Aufräumarbeiten beginnen bereits seit den letzten Tagen des Krieges, wurden jedoch besonders in der DDR-Zeit zwischen 1965 und 1990 fortgesetzt. Seit 1990 haben Spezialisten bereits über 200 Bomben aus dem Boden geholt. Besonders problematisch sind Bomben, die an heiklen Stellen gefunden werden, wie unter Wohnhäusern, in Kleingärten oder sogar unter wichtigen städtischen Einrichtungen wie dem Hauptheizkessel der Stadtwerke oder einem Hortgebäude.
Die Entschärfung der Bomben hat regelmäßig Auswirkungen auf das Leben in Oranienburg. Immer wieder müssen Straßen und ganze Gebiete gesperrt werden. Bei Bombenfunden müssen oft mehrere Tausend Menschen evakuiert werden, was auch den Verkehr lahmlegt und zu erheblichen logistischen Problemen führt. Die Bürokratie rund um die Bombenentschärfung ist ebenfalls umfangreich. Für Bauvorhaben müssen vorab sogenannte Kampfmittelfreiheitsbescheinigungen vorgelegt werden, was nicht nur private Bauherren, sondern auch Investoren vor Herausforderungen stellt.
Die Kosten der Entschärfung
Die Entschärfung dieses explosiven Erbes kostet die Stadt jedes Jahr etwa zwei Millionen Euro. Stefanie Rose betont, dass diese Mittel an anderer Stelle fehlen und die Stadt dadurch in ihrer finanziellen Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist. Seit 2019 profitiert Oranienburg jedoch von zusätzlicher Unterstützung des Landes. Als Modellregion im Bereich Kampfmittelbeseitigung hat die Stadt mehr Ressourcen erhalten, um die Bomben schneller und effizienter zu finden und zu entschärfen. Mehr Mitarbeiter wurden eingestellt, um die Aufgabe zu beschleunigen.
Corona-Pandemie bremst Fortschritte
Die Corona-Pandemie stellte jedoch einen Rückschlag dar. Besonders dicht besiedelte Gebiete konnten nicht so gründlich durchsucht werden, da Evakuierungen bei Bombenfunden aufgrund der Gesundheitsvorschriften nicht durchführbar waren. Die Stadt nutzte jedoch die Zeit, um weniger dicht besiedelte Gebiete zu überprüfen.
Ein Modell wird zu einer Kompetenzregion
Im Jahr 2024 wurde das Modellprojekt offiziell beendet, doch die Arbeit des Kampfmittelbeseitigungsdienstes (KMBD) in Oranienburg geht weiter. Innenministerin Katrin Lange bezeichnet das Projekt als Erfolg und spricht sich dafür aus, die Ergebnisse des Modellprojekts in eine langfristige „Kompetenzregion“ zu überführen. Das Ziel ist, die gewonnenen Erkenntnisse auf andere Regionen zu übertragen, die ebenfalls mit Kampfmitteln belastet sind. Brandenburg bleibt dabei ein Fokusgebiet, da dort laut Innenministerium noch etwa 580.000 Hektar unter Kampfmittelverdacht stehen. Auch im Jahr 2024 wurden im Land rund 340 Tonnen Minen, Granaten und andere Sprengkörper gefunden. Besonders die Gebiete rund um Potsdam, die Oder-Neiße-Linie und südlich von Berlin bleiben Schwerpunkte der Entschärfung.
Die Menschen in Oranienburg und in vielen anderen Teilen Brandenburgs müssen sich darauf einstellen, dass sie auch in den kommenden Generationen mit der gefährlichen Last des Zweiten Weltkriegs leben werden.